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SABINE MAI SCHREIBT ÜBER KULTURELLE IDENTITÄT

Sehnsuchtsort Wald

Über alles Gipfeln ist Ruh.
Eine ungewohnte Stille wird hörbar im März 2020 als das öffentliche Leben zum Erliegen kommt und unser Leben verändert. Ein Virus zwingt uns in die Häuser. Das Großraumbüro, in dem ich arbeite, gilt über Nacht als Risikogebiet. Also werfe ich Notebook und Wanderschuhe in den Kofferraum und fahre aufs Land. Videokonferenzen am Küchentisch bestimmen ab sofort den Tagesablauf.

Über allen Wipfeln spürest du, kaum einen Hauch.
Stillstand breitet sich aus, die sorglose Mobilität der vergangenen Jahre ist Geschichte. Während die „Maas Airlines“ meine Mitbürger nach Hause fliegt, flüchte ich in den heimischen Wald. Hier scheint die Welt in Ordnung. Die Natur heilt – so sagt man doch! Schon Goethe fühlte sich inspiriert auf seinen Wanderungen. Wir Deutsche lieben unseren Wald und fühlen uns tief mit ihm verbunden.

Die Vöglein schweigen im Walde.
Es hätte so schön werden können, mein neues Leben als „Digital Nomad“ im Spessart. Doch die Stille wurde jäh durchbrochen durch das Kreischen einer Motorsäge und der Erkenntnis: ich bin nicht allein hier. Die rosa Romantikbrille bekommt einen Knacks an diesem Montagmorgen, denn Fakt ist: Ich wohne nicht in der Wildnis. Das hier ist ein WIRTSCHAFTSWALD!

Doch was bedeutet das? Unser Wald ist korrigierte Natur. In einem Primärwald hätten wir einen hohen Anteil von Buchen und Eichen, also einen Laubmischwald mit stabilem Ökosystem. Wenn ich heute über das Maintal sehe, finde ich große Flächen Monokultur mit Nadelbäumen, neben denen sich ein Rest von intaktem Laubwald zusammendrängt. Das hat Konsequenzen, denn die Tierwelt ist ebenso kultiviert. Der Wolf wurde schon vor 300 Jahren vertrieben. Seinen Job macht nun der Jäger, damit nicht Reh und Wildschwein das Grün zerbeißen.

In Zahlen: 31 % der der Bundesrepublik ist mit Wald bedeckt, nur 2,8 % davon naturbelassen. Der überragende Rest ist durch Forstwirtschaft reguliert. Das Ziel, den Anteil von Naturwald bis 2020 auf 5% auszuweiten wurde nicht erreicht.

Immerhin, Odenwald und Spessart haben noch Reste von Urwald, die man schützen könnte. Ein Nationalpark, das wäre die Lösung?! Doch da habe ich Großstädter die Rechnung ohne meine einheimischen Mitbürger gemacht. Selten stieß ein Projekt auf mehr Widerstand als der „Nationalpark Spessart“, der 2017 unter heftigen Protesten unterging.

Warte nur! Balde, ruhest du auch.
Ich frage mich: Welche Möglichkeit bleibt uns zur Veränderung hin zu mehr Natur? Soll ich einen Kasten Krombacher Bier kaufen und den Wald durch Werbung retten? Muss unser Wald überhaupt gerettet werden, oder eher von uns in Ruhe gelassen? Meine Sympathie gilt den Jungen, den Klimaaktivisten, die nicht zuschauen mögen, wie wir ihre Zukunft vermasseln. Wir sollten besser gleich damit beginnen, unsere Sichtweise zu verändern und aufhören die Herren über die Schöpfung zu sein.

Vielleicht sind die Lockdowns eine Gelegenheit, zur Rückkehr in ein bescheideneres Leben, mit weniger Ansprüchen und mehr Freude im Hier und Jetzt.

  • Eichen an der Centgrafenkapelle Bürgstadt
  • Blick über das Maintal bei Nebel - Stutzkapelle Bürgstadt
  • Steinmanderl - beliebt bei Wanderern, gehasst von Archäologen
  • Kunstprojekt "Rettet den Wald" in Miltenberg
  • Caspar David Friedrich
  • Buche im Steinbruch

Quellen:

Der Wald und die Wut“ Zeit Online über die Proteste zum Nationalpark Spessart, 2017

„Wald in Zahlen“ NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V.

Waldzustandsbericht BEML

Wanderers NachtliedJohann Wolfgang von Goethe, 1780
Ueber allen Gipfeln
Ist Ruh‘,
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur! Balde
Ruhest du auch.

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1 Kommentar

  1. Dirk 14. Juni 2024

    Liebe Sabine,

    über Wald redet man nicht, man pflanzt ihn. Jeder Baum ist da nützlich.

    Mein Nachbar hier im Örtchen in Unterfranken ist Waldbauer. Klimaaktivisten haben sich bei ihm noch nicht zum Pflanzen gemeldet. Das muss er immer noch alleine machen, obwohl er eigentlich in Rente ist.

    Ich habe auch noch einen (ehemaligen) Kunden. Der ist auch in Rente. Jetzt fährt er auf Kreuzfahrtschiffen viel durch die Welt. Er habe sich das verdient, sagt er, weil er zigtausende Bäume gepflanzt habe. Er betreibt noch eine Aufforstungsinitiative in der Region. Aber Klimaaktivisten haben sich bei ihm auch noch nicht zum Pflanzen gemeldet.

    Und zum guten Schluss habe ich noch einen sehr guten Bekannten. Der hat in Frankfurt auf den Klimademos immer mal wieder den Diesel LKW mit der Musik und so weiter auf der Ladefläche) gefahren (weil das ja kein anderer wollte).

    Der kennt die Klimaaktivisten. Sie haben ihn letztendlich aus verschiedenen Gründen nicht überzeugt. Er ist ausgestiegen und pflanzt jetzt auf dem Grundstück, auf dem sein Resthof liegt, Bäume und liegt in der Hängematte.

    Wir fahren nachher wieder nach Norddeutschland. In einen Landkreis wo keiner hin will und es viel Platz gibt. Auf unserem Grundstück dort gibt es zwei große Eichen. Sie sind wohl jeweils über 100 Jahre alt. Ich habe mich mit meinem Nachbarn in Unterfranken abgesprochen. Wenn ein gutes Eicheljahr ist, nimmt er gerne ein paar Säcke aus Norddeutschland. Obwohl das ja kein zertifiziertes Saatgut sei (was soll das denn?). Auch die wenigen Keimlinge, die wir ihm vorgezogen haben nimmt er gern. Obwohl die kleinen Bäume ja aus Eicheln gekeimt waren sind das Peanuts für ihn. Er pflanzt Bäume zu Tausenden. Immer allein und ohne Hilfe. Ohne Aktivisten aus der Stadt. Ich glaube, der will auch gar nicht, dass ihm Leute aus der Stadt die Welt erklären.

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