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SABINE MAI SCHREIBT ÜBER KULTURELLE IDENTITÄT

Die Freuden des Landlebens

Schon Vincent van Gogh zog es aufs Land, wo er die Sonnenblumen malte, die heute zu den teuersten Kunstwerken der Welt zählen. Wir Maler schätzen die Ruhe zum Arbeiten und die Inspiration, die uns die ländliche Kulisse bietet. Doch trifft man dort in Miltenberg am Main auch auf ein Publikum, das Kunst und Kultur liebt und fördert? Mögen die Landleute uns Künstler so sehr, wie wir das Landleben?

Brotlose Kunst

Ein eher schwieriges Verhältnis tut sich auf. Kunst gilt in meiner Heimat als brotloser Beruf. Warum ist das so? Traditionelles Kunsthandwerk, für das die Gegend überregional bekannt wäre, findet man kaum am Untermain. Einige sehr begabte Leute habe ich getroffen. Doch die Bereitschaft der Käufer, handgemachte Kunstgegenstände zu kaufen, ist eher gering. Warum auch? Billige Dekoration gibt es nebenan im Supermarkt.

Diese Lücke will gefüllt werden, schließlich vermarktet man sich als Tourismusregion. Die Andenkengeschäfte in Miltenberg vertreiben Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald und Räuchermännchen aus dem Erzgebirge. Vielleicht meinen wir: „Das merkt doch der Texaner nicht, der hier mit der Flusskreuzfahrt (wir nennen die Schiffe auch Mumienschlepper) halt macht.“ Was hätten wir selbst anzubieten?

Der Wein ist die Kultur

Die Bürgstädter definieren den Wein als ihr kulturelles Hauptwerk. Ein Senior erzählt mir, man habe sich in der Lokalpolitik schon lange gegen Kunstausstellungen entschieden, weil das sowieso niemanden interessiere. Tatsächlich sind meine Dorf-Kolleg/innen, die sich selbst gerne als „Kreuzköpp“ bezeichnen, eher versiert im Ignorieren und Boykottieren. Sogar ihr eigenes Weinkulturhaus mögen sie nicht gerne besuchen, als sei ein Ufo gelandet mitten in ihrer Idylle.

In der lokalen „Kunstszene“ führt das Manko an ästhetischem Verständnis zu einer „Popartisierung“. Bilder werden möglichst kostengünstig produziert, denn nur so lohnt sich das Geschäft – vielleicht. Da wird großflächig Farbe auf Leinwände gespritzt, farblich passend zu den Möbeln der Kanzlei, in der das Werk im Idealfall seinen Käufer finden soll. Oder es werden einfach Fotos kopiert und in Öl abgemalt. Motiv ist egal, Hauptsache es gefällt dem Käufer – wenn es denn einen gibt. Die Kultur, liebe Kolleg/innen retten wir so nicht. Aber wollen wir das überhaupt?

Die Kulturpolitik konzentriert ihre Aktivitäten auf Kinder und Jugendliche in Form von Kursen z. B. in Kindergärten, für die Künstler sogar ein Honorar bekommen! Der Einkauf von Werken erfolgt möglichst kostengünstig. Meist wird ein ehrenamtliches Engagement bevorzugt. Die Förderung von „erwachsenen“ Kulturschaffenden sei im Landkreis nicht vorgesehen, erfahre ich beim Kulturreferat. Das kulturelle Ergebnis entspricht am Ende dieser Grundhaltung.

Kommen wir zum Fazit, was keine Bewertung sein muss: Eine Region ist kulturell so spannend, wie ihre Kulturschaffenden und Kulturverantwortlichen sie selbst gestalten. Was bedeutet das für uns Künstler? Ich meine, es ist egal, wie die gesellschaftlichen Bedingungen sind. Als Künstler haben wir eine Verantwortung für die Weiterentwicklung unserer Kulturlandschaft. Kommt raus, aus der Komfortzone und seit kreativ, so wie ihr es für richtig haltet. Habt Mut! Vincent van Gogh hat es auch nicht gleich ins Museum geschafft!

Sabine Mai

Bildergalerie mit Arbeiten von Sabine Mai, präsentiert im September 2021 in der Ausstellung „Die Freuden des Landlebens“. www.sabinemai.de

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